Chris Nolte ist seit über einem Jahrzehnt eine Schlüsselfigur in der E-Bike-Branche. Er gründete Propel Bikes und war seit den 2010er Jahren aktiv an der Gestaltung der gesetzlichen Regelungen für E-Bikes in den USA beteiligt. Nach seinem Ausscheiden aus dem Unternehmen wird Propel nun von seiner Schwester Cat Strain geleitet. Nolte errang wichtige Gerichtssiege, die zu liberaleren Gesetzen in der Stadt New York in Bezug auf E-Bikes führten. Heute verfügt Propel Bikes über ein Geschäft in New York City, ein Lager in Brooklyn und zwei Standorte in Long Beach, Kalifornien, und Wilmington, Delaware. Besonders im Bereich E-Lastenräder hat sich das Unternehmen einen Namen gemacht.
Nach seinem Ausscheiden bei Propel gründete Chris 2023 zusammen mit Justin Kosmides Bloom. Beide arbeiten daran, die Produktion und Logistik der Leichtelektrofahrzeugindustrie zurück in die USA zu verlagern und zu optimieren. Von Detroit aus möchte das Duo Bloom die dortige Fahrradindustrie zurück in die USA holen und ihr mehr wirtschaftliche Bedeutung verleihen. Im Exklusivinterview erklärt Chris Nolte, wie das gelingen soll, warum Bloom den gesamten Mikromobilitätssektor ins Visier nimmt und welchen Stellenwert E-Bikes in den USA haben.
Chris, was genau können wir uns von Bloom vorstellen?
Die Idee hinter Bloom besteht darin, den Teil der US-amerikanischen Industrie, der Hardware herstellt, durch Nutzung der bestehenden inländischen Produktions- und Logistikinfrastruktur zu stärken. Wir wollen ein Ökosystem aufbauen, das bestehende Fabriken – von denen viele die Automobil- und Luft- und Raumfahrtindustrie beliefern – mit den Bereichen Mobilität und Elektrohardware verbindet. Solche potenziellen Partner gibt es bereits überall in den Vereinigten Staaten. Allerdings stellen sie keine Fahrräder her, sondern andere, sehr ähnliche Produkte. Einige der Unternehmen würden sehr gerne in der Fahrradbranche tätig werden.
Auf Ihrer Website erwähnen Sie auch Lager- und Logistikdienstleistungen.
Genau damit haben wir es auch zu tun, insbesondere in Bezug auf die Fahrradbranche. Beispielsweise können wir eine rudimentäre Montage anbieten. Möglicherweise muss der Kunde dies noch abschließen. Dennoch ist ihm ein Arbeitsschritt entfallen. Viele Unternehmen der Mobilitätsbranche lagern ihren eigenen Speicher, wollen dies aber nicht. Bloom kann an dieser Stelle eine Zwischenlösung sein. Auch mit Optionen wie der Lieferung von Artikeln ohne Verpackung.
Was ist Blooms grundsätzliche Ausrichtung?
Grundsätzlich beschäftigen wir uns mit allem, was kleiner als ein Auto ist, also auch mit Kleinwagen und ähnlichen Fahrzeugen. Schließlich ist nicht genau geklärt, wer ein solches Produkt herstellt. Ein Fahrradhersteller oder ein Autohersteller? Wir schließen diese Lücke und unterstützen diese Art von Produkten. Der Vorteil hierbei ist, dass die Regulierung solcher Fahrzeuge und damit deren Entwicklung in den USA derzeit größeren Freiheiten unterliegt. Einen elektrischen Lastenroller kennt beispielsweise in Europa kaum jemand. Hier trifft man sie auf der Straße. Sie verwenden einen Gashebel für sie. Brauchen wir noch Pedale? Wenn nicht, was passiert? Und wie passt das in die Radinfrastruktur? Die sich daraus ergebenden Chancen möchten wir aktiv mitgestalten.
Aus der Mitgestaltung werden später konkrete Produktionsaufträge für lokale Fabriken resultieren. Wie ist der aktuelle Stand der E-Bike-Produktion in den USA?
Von den E-Bikes für den lokalen Markt werden gerade einmal drei Prozent hier gebaut. Zum Vergleich: In Europa sind es mehr als 60 Prozent. Das ist ein dramatischer Unterschied. Und ein Grund, warum die Fahrradlobby in den USA ein vergleichsweise schwaches Ansehen hat. Der Fahrradindustrie mangelt es an starker politischer Unterstützung, auch weil die heimische Produktion begrenzt ist. Eine Ausweitung der Produktion in den USA könnte den Einfluss der Branche stärken. Vor allem im Vergleich zur Automobilindustrie. Wäre der Anteil größer, würden Politiker vermutlich eher Entscheidungen zugunsten des Radverkehrs treffen. Das war einer der Gründe, warum ich ein Unternehmen wie Bloom gründen wollte.
Was reizt Sie an dem neuen Job?
Wir hoffen auf jeden Fall, die Branche umfassender als bisher gestalten zu können und einen größeren Beitrag für alle Marken der Branche zu leisten. Bei Propel Bikes konnte ich nur mit wenigen Marken arbeiten. Im weiteren Sinne beteilige ich mich gerne an Gesprächen über Regulierung, über Standards und darüber, wie wir diese Systeme und Protokolle entwickeln, um das Wachstum der Branche wirklich auf nachhaltigere Weise zu unterstützen. Allerdings werden wir von den Vorteilen nur dann profitieren, wenn wir den Übergang vom Wachstum nach dem „Boom-and-Bust“-Prinzip hin zu einem nachhaltigeren Weg schaffen.
Was wird sich in der US-amerikanischen Fahrradindustrie in den nächsten fünf Jahren ändern?
Ich erwarte einen wachsenden Anteil der Montage in den USA. Gleiches gilt für die Herstellung von Bauteilen. Eventuell kommt noch die Produktion von Rahmen hinzu. Ich denke, wir werden mehr Innovationen, neue Materialien und neue Techniken sehen. Ähnlich wie Moustache, die in Frankreich Gussrahmen herstellen. Wer weiß, vielleicht wird die additive Fertigung immer profitabler.
In welchen Bereichen könnten wir erste konkrete Ergebnisse davon sehen?
Ich erwarte insbesondere bestimmte Nischen. Zum Beispiel spezielle Fahrräder für Menschen mit Behinderungen, wie sie Van Raam anbietet. Und in Segmenten wie E-Rennrädern, E-Gravelbikes und E-Lastenrädern gibt es noch viel Verbesserungspotenzial. In New York City beispielsweise kann eine Kombination aus Fahrrad und Anhänger 16 Fuß lang sein. Bloom unterstützt derzeit ein Unternehmen, das ein solches E-Bike herstellt. Seine Ladekapazität beträgt unglaubliche 350 Kilogramm. Ziemlich beeindruckend. Traditionell sind wir in Bereichen wie Software, KI und maschinelles Lernen recht stark. Auch in Zukunft könnten weitere Innovationen aus dieser Richtung kommen.
Wie ist Ihrer Meinung nach der aktuelle Stand des E-Bike-Fahrens in den USA?
Meiner Meinung nach sind wir auf dem richtigen Weg. In städtischen Gebieten entdecken immer mehr Menschen E-Bikes als gute Wahl für den Weg zur Arbeit. Gleichzeitig wird immer mehr Fahrradinfrastruktur gebaut. Entscheidend wird sein, dass sichere Fahrradabstellplätze geschaffen werden. Genauso wie jede Menge Möglichkeiten zum Laden von Akkus. Wenn uns das gelingt, wird der Aufschwung weitergehen.
Was ist noch los?
Nun, in den USA steckt das Leasing von E-Bikes noch in den Kinderschuhen. In Europa macht es jedoch längst einen großen Teil des Geschäfts aus. In den USA haben Defizite bei Finanzierung, Versicherung und Verbraucherbewusstsein die Akzeptanz verlangsamt, es besteht jedoch großes Wachstumspotenzial. Und die vielen Billigprodukte machen mir Sorgen. Ich fürchte, viele Leute kaufen solche E-Bikes, fahren eine Weile damit und verabschieden sich dann von ihnen, weil es zwar Spaß gemacht hat, aber dann nicht wirklich zufriedenstellend war. Dann upgraden Sie auf etwas hochwertigeres, perfekt. Aber wenn sie sagen würden, ok, ich habe es mit einem E-Bike probiert und jetzt steige ich wieder auf das Auto um, wäre das fatal.
Was unterscheidet den Markt in den USA derzeit von Europa?
Manche Leute in den USA halten es für verrückt, ein Fahrrad zu nehmen, selbst wenn sie nur eine halbe Meile fahren müssen. Wir sehen das Fahrrad oft als Statussymbol. Leider kein sehr positives. Es hängt eher mit der Frage zusammen, ob man sich kein Auto leisten kann? Viele Menschen lieben Radfahren. Doch ein Fahrrad als Fortbewegungsmittel käme für sie nie in Frage. Allerdings tut sich in den Städten schon einiges. Die Menschen dort erkennen zunehmend die Vorteile von E-Bikes. Wer E-Bikes für dumm hält, gilt mittlerweile eher als Außenseiter als früher. Ein weiterer großer Unterschied ist der Preis. In den USA dominieren derzeit E-Bikes, die 1.000 Dollar oder weniger kosten, den Markt. Dieser liegt schätzungsweise bei rund 80 Prozent. In Europa dürfte der Durchschnittspreis eher bei 3.000 Euro liegen.